Interview • 26.06.2023

Aldi und (E-)Commerce in China

Wie sich der Discounter in Ostasien aufstellt und was sich andere davon abgucken können

„China ist ein hart umkämpfter Markt“, sagt Renata Thiébaut. Trotzdem scheint das Unternehmen mit Hauptsitz im Ruhrgebiet Ellbogen bewiesen zu haben und verkauft dort mittlerweile erfolgreich. Die Professorin für E-Commerce und China-Expertin an der GISMA University for Applied Sciences arbeitete von 2017 bis 2021 als Beraterin für Aldi. Sie war bei Markteintritt dabei und blickt mit uns zurück.

Das Aldi Süd Logo auf blauem Hintergrund
Quelle: Aldi Süd

Renata, in Europa kennt man Aldi fast ausschließlich als stationären Lebensmitteleinzelhändler. Jetzt streckt das Unternehmen seine Fühler auch in Richtung China aus. Dabei ist die Konkurrenz dort groß, oder?

Es gibt dort alle großen Supermärkte und Einzelhändler*innen: Cosco, Walmart, Mantra. Beim Markteintritt musste Aldi also zunächst einmal überlegen: Was wollen unsere Kund*innen und wie können wir uns von unseren Mitbewerber*innen abheben? 

Aldi orientierte sich in Richtung E-Commerce. Du warst in die strategischen Überlegungen involviert. Wie seid ihr an die Umsetzung herangegangen?

Genau, zwei Jahre lang lag der Fokus auf Online. Hier trifft man den Großteil der potenziellen Kundschaft. Das Unternehmen wollte in dieser Zeit vor allem herausfinden, wie der Handel dort tickt. Mithilfe eines Onlineshops und der Alibaba-Plattform wollten wir zunächst den Markt erkunden, die Bedürfnisse der Verbraucher*innen verstehen und auch herausfinden, wie wir unsere Qualität und zeitgleich unsere kostengünstigen Preise im Vergleich zur Konkurrenz auf dem chinesischen (Online-)Markt platzieren können. Außerdem ging es darum, die Produktpalette – auch geschmacklich – an die chinesische Kundschaft anzupassen. Mit lokalen Expert*innen arbeitete man außerdem zusammen, um zu erkunden, wo sich stationäre Geschäfte lohnen. 

Und für das Konzept gab’s auch den Innovationspreis von der Alibaba Group. Was war das Besondere?

Es war ein ganz anderer Ansatz als Aldi ihn in Europa verfolgt. Sonst geht es vorrangig um die Sortimentsplanung und darum, sich mit (eigenen) Produkten möglichst breit aufzustellen. Wir haben uns von dieser routinierten Vorgehensweise verabschiedet, da wir nicht wussten, ob die Waren überhaupt gewünscht sind. Wir haben also in dem ersten Store, der 2019 eröffnete, auf Digitalisierung gesetzt und ein SaaS-System implementiert. Mithilfe verschiedenen Touchpoints im Laden konnten wir das Kund*innenverhalten besser messen und haben so viele Informationen über unsere Verbraucherinnen und Verbraucher sammeln können. Gleiches haben wir online über die Alibaba-Plattform und sozialen Medien gemacht.

Frau mit langen braunen Haaren trägt ein rotes Oberteil...
Dr. Renata Thiébaut, Professorin für E-Commerce und China-Expertin an der GISMA University for Applied Sciences.
Quelle: Privat

Wie genau habt ihr die Daten, denn gesammelt?

In dem von uns aufgebauten System sammelten wir Daten aus der Alibaba-Datenbank. Diese ist für alle Händler*innen verfügbar. Hier kann man Branchendaten und Daten zum Verbraucherverhalten, z. B. Milchverkäufe auf Alibaba-Marktplätzen in verkauften Einheiten und Umsatz pro Monat, umsatzstärkste Milchsorten, umsatzstärkste Größen, umsatzstärkste Produkte nach Preisklasse und mehr abrufen. Aldis eigene Daten kamen dabei, wie gesagt, aus dem Onlineshop, dem Ladengeschäft und den sozialen Medien. Wir haben all diese Daten zusammengeführt, um Kaufentscheidungen besser zu verstehen und das Verbraucher*innenverhalten zu erfassen.

Was konntet Ihr so über das Kund*innenverhalten herausfinden? 

Ein Beispiel: Die meisten Händler*innen bieten Milch in Ein-Liter-Packungen an. Durch unsere Datenanalyse haben wir herausgefunden, dass 80 Prozent der chinesischen Kund*innen die 250-Milliliter-Variante bevorzugen, da sie die Packung so leichter den ganzen Tag mit sich tragen können. So haben wir unser Milch-Angebot angepasst. Ebenso haben wir uns größtenteils von unseren Eigenmarken verabschiedet, da sie in China nicht als solche wahrgenommen werden, sondern neu wirken und mit anderen bereits bekannten lokalen Marken konkurrieren. 

Dafür haben wir herausgefunden, welche Importmarken besonders gefragt sind und haben diese ins Sortiment genommen. Aptamil-Säuglingsnahrung ist so beispielsweise bei Aldi gelandet. Ein weiteres Ergebnis: Aldi bietet eine Lieferung innerhalb von 25 Minuten an. Damit unterbietet man Mitkonkurrent*innen.

Ich muss sagen: Diese Anpassung an die Bedürfnisse der Kundschaft ermöglichen uns die Daten, die wir stetig an den verschiedenen Touchpoints sammeln. Anders wäre diese Entwicklung kaum möglich, denke ich. 

Ähnliche Ansätze gibt es beim Discounter in Europa, allerdings läuft hier vieles noch deutlich analoger. Woran liegt das?

Das Alter spielt hier eine Rolle. Aus Deutschland zum Beispiel höre ich immer wieder, dass der technologische Fortschritt aufgrund der alternden Bevölkerung stockt. Ich glaube allerdings nicht, dass dieser Fakt ausschlaggebend ist, denn auch in China leben ältere Leute. Sie haben gelernt, Neuerungen für sich zu nutzen. Nahezu 95 Prozent der Bevölkerung bewegen sich online. Mit Alipay und WeChat zahlen 1,3 Milliarden Menschen im Land, dazu gehören auch die Älteren. China ist anderen Ländern hier etwa fünf Jahre voraus. 

Also geht es darum, Systeme zu schaffen, mit denen man auch ältere Menschen digital abholt?

Genau, Tools, die leicht zu bedienen sind. Das könnte, meiner Meinung nach, auch in anderen Märkten funktionieren: Shared-Konten sind hier eine Möglichkeit. Ältere Eltern und Kinder können sich beispielsweise ein Konto teilen. Das geht bei WeChat oder Alipay. So baut man hier mögliche Bedenken und Barrieren ab. 

Glaubst du, dass der Westen China in Sachen Bezahlmöglichkeiten irgendwann einholt?

Ich befürchte, dass das durch die Datenschutzbestimmungen tatsächlich schwierig wird. In China kannst du via Gesichtsscan oder mit deiner Handfläche bezahlen, selbst, wenn du mit der U-Bahn fahren möchtest. Das kann ich mir in Deutschland oder Europa schwer vorstellen. Trotzdem hat man den Eindruck, dass von den Chines*innen gelernt werden möchte, vor allem, wenn es um Omnichannel und die optimale Customer Experience geht. 

Bei diesen Themen spielt auch die Bequemlichkeit der Kundschaft eine Rolle. Vielleicht sogar eine größere als der Wunsch nach Privatsphäre. Könnte es in Zukunft sogar zur Aufweichung der Datenschutzrichtlinien kommen?

Das glaube ich nicht. Die Menschen legen immer noch sehr großen Wert auf ihre Privatsphäre, auch digital. Sie wollen ihre personenbezogenen Daten ungern preisgeben. Aber grundsätzlich schließt das eine das andere ja nicht aus. Es gibt in westlichen Gebieten durchaus Store- und Bezahl-Konzepte, die ähnlich sind wie die in China. Das Wichtigste für alle Händler*innen ist immer noch: Findet heraus, was sich eure Kundschaft wünscht, so werdet ihr erfolgreich.

Interview: Ben Giese

Weitere Beiträge zum Thema:

Beliebte Beiträge:

Thumbnail-Foto: Aktualisiertes Modern Store Framework von Zebra auf der EuroCIS...
16.02.2024   #Tech in Retail #Personalmanagement

Aktualisiertes Modern Store Framework von Zebra auf der EuroCIS

Mit neuen Produkten und KI-Expertise gegen die Probleme des Einzelhandels

Zebra Technologies Corporation (NASDAQ: ZBRA), ein führender Anbieter digitaler Lösungen zur intelligenten Verbindung von Daten, Anlagen und Menschen, geht mit dem aktualisierten Modern Store Framework auf der EuroCIS in Düsseldorf ...

Thumbnail-Foto: Aus SES-imagotag wird VusionGroup
29.01.2024   #Softwareapplikationen #Künstliche Intelligenz

Aus SES-imagotag wird VusionGroup

Eine neue Identität, die das breitere Portfolio an innovativen Lösungen hervorhebt, die zur Meisterung der großen Herausforderungen des physischen Handels von der Gruppe entwickelt wurden.

SES-imagotag (Euronext: SESL, FR0010282822), das weltweit führende Unternehmen für digitale Lösungen für den physischen Handel, hat heute bekannt gegeben, dass es seinen Namen in VusionGroup geändert hat. Dieser neue Name ...

Thumbnail-Foto: GLORY auf der EuroCIS 2024: Automatisierung, Customer Experience und die...
26.02.2024   #Tech in Retail #Kassen

GLORY auf der EuroCIS 2024: Automatisierung, Customer Experience und die Herausforderung des Personalmangels

Der Payment-Experte präsentiert zwei SB-Produktneuheiten sowie weitere zukunftsweisende Lösungen

Auf der EuroCIS vom 27. bis 29. Februar 2024 zeigt GLORY ganzheitliche Automatisierungslösungen, die Unternehmen aus Handel, Gastgewerbe ...

Thumbnail-Foto: Toshiba zeigt auf der EuroCIS Lösungen, die die Einzelhändler in die...
27.02.2024   #Tech in Retail

Toshiba zeigt auf der EuroCIS Lösungen, die die Einzelhändler in die Lage versetzen, über sich hinaus zu wachsen

Die Besucher werden flexible und sichere SB-Lösungen, KI-fähige intelligente Services sowie Software-Lösungen für Unified Shopping kennenlernen

Auf der EuroCIS 2024 zeigt Toshiba Global Commerce Solutions unter dem Motto “Create Beyond what’s Possible” sein innovatives Lösungsportfolio ...

Thumbnail-Foto: Rekordzahlen für ITL auf der Einzelhandelsmesse EuroCIS in Düsseldorf...
07.03.2024   #Self-Checkout-Systeme #POS-Software

Rekordzahlen für ITL auf der Einzelhandelsmesse EuroCIS in Düsseldorf

Innovative Technology (ITL) berichtete letzte Woche von einer erfolgreichen EuroCIS in Düsseldorf, wo die Organisatoren einen Besucherrekord verkündeten. Die EuroCIS bietet einen exklusiven Hotspot für Retail Technology in Europa, ...

Thumbnail-Foto: In Europa einzigartig und daher ausgezeichnet...
13.12.2023   #Digitalisierung #Tech in Retail

In Europa einzigartig und daher ausgezeichnet

SPAR Österreich gewinnt mit Innovationsprojekt "Obst und Gemüse 3 Tage frischer" den „Future of European Commerce Award“

In der Kategorie Digitalisierung hat SPAR Österreich den, erstmals von EuroCommerce verliehenen, „Future of European Commerce Award“ gewonnen ...

Thumbnail-Foto: Klassischer POS neu definiert
14.03.2024   #POS-Systeme #Drucker

Klassischer POS neu definiert

Citizen modernisiert POS-Drucker-Serie

Citizen Systems präsentiert neue POS-Drucker CT-S801III ...

Thumbnail-Foto: Extenda Retail:  KI-gestützte Self Service Loss Prevention Lösung auf...
22.02.2024   #stationärer Einzelhandel #Tech in Retail

Extenda Retail: KI-gestützte Self Service Loss Prevention Lösung auf EuroCIS

Nach starker Akzeptanz in den nordischen Ländern und den Benelux-Staaten setzt Extenda Retail seine Kampagne gegen Warenschwund mit der Einführung seiner SSLP-Lösung in Deutschland fort ...

Thumbnail-Foto: Autonome Stores aus aller Welt – ein Überblick...
18.12.2023   #Tech in Retail #Self-Checkout-Systeme

Autonome Stores aus aller Welt – ein Überblick

Die Stores gibt es in verschiedenen Segmenten des Einzelhandels wie LEH, Mode, Elektronik, Convenience Stores und Fast Food.

In einer hart umkämpften globalen Einzelhandelslandschaft befinden sich autonome Stores im Aufschwung. Sie tragen dem veränderten Verbraucherverhalten Rechnung, senken Betriebskosten, verbessern die Rentabilität und tragen zur ...

Thumbnail-Foto: Frag den Bot: Generative KI im Handel
02.01.2024   #Tech in Retail #Lebensmitteleinzelhandel

Frag den Bot: Generative KI im Handel

Revolution im Handel: Die Ära der generativen KI und KI-Bots

Sie können Daten analysieren, Produkte betexten, Kundenfragen beantworten oder Code schreiben...

Anbieter

Innovative Technology Ltd.
Innovative Technology Ltd.
Innovative Business Park
OL1 4EQ Oldham
Extenda Retail Ab
Extenda Retail Ab
Gustav III:s Boulevard 50A
169 73 Solna
VusionGroup SA
VusionGroup SA
55 place Nelson Mandela
90000 Nanterre
Zebra Technologies Germany GmbH
Zebra Technologies Germany GmbH
Ernst-Dietrich-Platz 2
40882 Ratingen
EXPRESSO Deutschland GmbH & Co. KG
EXPRESSO Deutschland GmbH & Co. KG
Antonius-Raab-Straße 19
34123 Kassel
SALTO Systems GmbH
SALTO Systems GmbH
Schwelmer Str. 245
42389 Wuppertal
REMIRA Group GmbH
REMIRA Group GmbH
Phoenixplatz 2
44263 Dortmund
GLORY Global Solutions (Germany) GmbH
GLORY Global Solutions (Germany) GmbH
Thomas-Edison-Platz 1
63263 Neu-Isenburg
m3connect GmbH
m3connect GmbH
Pascalstraße 18
52076 Aachen